Säße ich im Rollstuhl, hätte jeder Mitleid mit mir.

Wenn ich sage, dass ich Legastheniker bin, gelte ich als dumm.

– Professor Dr. med. Tiemo Grimm –
Facharzt für: Humangenetik, Kinder/Jugendmedizin,
an der Universität Würzburg und Legastheniker

Symptomatik

Vorschulische Auffälligkeiten

Jedes Kind hat seine eigene Legasthenie. Folgende Auffälligkeiten kann man vereinzelt beobachten: Verzögerter Sprechbeginn, eingeschränktes Sprachverständnis, Sprechschwierigkeiten, soweit keine körperlichen Ursachen erkennbar sind (z.B. Hörstörung), Probleme beim Erkennen von Reimen und Silben. Es ist allerdings nicht möglich, bereits vorschulisch eine Legasthenie zu diagnostizieren oder zu behandeln.

Eine recht gute Vorhersage erlauben standardisierte Verfahren, die in den letzten Jahren publiziert wurden (Bielefelder Screening zur Früherkennung von Lese-Rechtschreibfähigkeit BISC). Dieses Verfahren wird in der zweiten Hälfte des letzten Kindergartenjahres eingesetzt.

Faktoren, die im Zusammenhang mit der Entwicklung einer Legasthenie stehen, sind im Wesentlichen Einschränkungen in Fähigkeiten wie z.B. der Wahrnehmung und der Unterscheidung von Silben und Lauten.

Schwierigkeiten in der Grundschule

Auch die folgenden Auffälligkeiten sind "Kann-Auffälligkeiten":

  • Lesen: Verbinden von Lauten, Zusammenführen von Worten zu Sätzen, inhaltliches Verstehen von Gelesenem, auffallend langsames Lesen.
  • Rechtschreibung: Unterscheidung und Schreiben einzelner Buchstaben, Umsetzung vom Gehörten ins Geschriebene, Weglassen oder Hinzufügen einzelner Buchstaben, Schreiben so genannter Wortruinen, Probleme beim Abschreiben von Wörtern und Sätzen, unleserliche Schrift, hohe Fehlerquote bei ungeübten Diktaten.
  • Leistungsdefizite aufgrund von eingeschränktem, d.h. verlangsamtem oder fehlerhaftem Lesevermögen und mangelhafter Rechtschreibung machen sich auch in anderen Fächern bemerkbar. Obwohl sich Eltern und Kinder sehr bemühen, durch häufiges Üben die Leistung zu verbessern, macht das Kind nur geringe, teilweise gar keine Fortschritte. Oft wird zu Unrecht schuldhaftes Versagen vermutet.

Charakteristische Probleme beim Lesen

Niedrige Lesegeschwindigkeit, häufiges Stocken, Verlieren der Zeile im Text, aber auch das Auslassen, Vertauschen oder Hinzufügen von Wörtern, Silben oder einzelnen Buchstaben. Das Gelesene kann zum Teil nur unzureichend wiedergegeben bzw. interpretiert werden.

Charakteristische Probleme in der Rechtschreibung

Hohe Fehlerzahl bei ungeübten Diktaten aber auch abgeschriebenen Texten. Wörter werden teilweise fragmenthaft, im selben Text häufig auch mehrfach unterschiedlich falsch geschrieben. Hinzu kommen auffallend viele Grammatik- und Interpunktionsfehler und oft eine unleserliche Handschrift.

Probleme in anderen Fächern als Deutsch

Die Lese- und Rechtschreibschwierigkeiten treten ebenfalls in den Fremdsprachen auf. Schwierigkeiten beim Lesen und vor allem die Verlangsamung können eine eingeschränkte Wissensaufnahme in den übrigen Lernfächern verursachen, weil z.B. im vorgegebenen Zeitrahmen das Wissen nicht aufgenommen bzw. niedergeschrieben werden kann. Legasthenie kann somit schnell dazu führen, dass die gesamte schulische Leistung erheblich beeinträchtigt wird.

"Rechtschreibfehler treten vor allen Dingen beim Diktat und bei spontanem Schreiben (z.B. Aufsatz) auf, während das Abschreiben von Anfang an oder in späteren Klassenstufen weitgehend fehlerlos sein kann. Die Kinder können auch die Worte in aller Regel korrekt artikuliert aussprechen und dennoch das Wort fehlerhaft schreiben. Kinder, die leicht auswendig lernen und solche mit höherer Intelligenz kompensieren u.U. die Lese- und Rechtschreibstörung; sie versagen erst in der 3. Klasse oder erst nach dem Wechsel in eine weiterführende Schule (Realschule, Gymnasium), wenn ungeübte Schriftsprachleistungen und Aufsätze gefordert werden oder ein höheres Leistungs- und Temponiveau bei schriftlichen Arbeiten abverlangt wird. Schwerer betroffene Kinder sind meist nicht fähig, die Fehler beim Lesen und Rechtschreiben selbst zu erkennen und sich zu korrigieren."

Zitierbare Quelle:
Dt.Ges.f. Kinder- und Jugendpsychiatrie und Psychotherapie u.a. (Hrsg.): Leitlinien zur Diagnostik und Therapie von psychischen Störungen im Säuglings-, Kindes- und Jugendalter. 2. überarbeitete Auflage 2003, Deutscher Ärzte Verlag, ISBN: 3-7691-0421-8